Hirtenhunde - was ist das?
Der Begriff "Hirtenhund" bezeichnet alltagssprachlich
zunächst einmal alle Hunde, die den Hirten bei ihrer Aufgabe
zur Seite standen, die Herden von Groß- und Kleintieren zu
hüten und vor Angriffen von außen zu schützen. Die
speziellen Aufgaben, die sie dabei zu erfüllen hatten,
führten zu erheblichen Unterschieden in Größe und Verhalten.
Die Zusammenfassung dieser vielen und sehr verschiedenen
Hunderassen unter dem Obergriff "Hirtenhund" führt deshalb
immer wieder zu Unklarheiten und Missverständnissen.
Im wesentlichen kann man die Hirtenhunde in zwei große
Gruppen einteilen.
Hüte- und Treibhunde
Ihre Aufgaben werden durch die Bezeichnung treffend
beschrieben: Hüten, Treiben, Zusammenhalten.
Bis
in die Gegenwart halten Hirten diese Hunde als wertvolle
Arbeitsgehilfen beim Zusammenhalten und Weitertreiben der
Herde. Meist sind sie leicht gebaut, schnell, ausdauernd und
außerordentlich arbeitsfreudig. Die Hüte- und Treibhunde
erhalten ihre Anweisungen immer von den Hirten, die sich
durch Pfeifkommandos
mit ihnen verständigen. Obwohl diese Hunde relativ klein
sind, können sie sich auch gegen die größeren Tiere
durchsetzen und die Herde kontrollieren und leiten. Auch
wenn sie dabei kein Tier verletzen und die Herde natürlich
nicht in Panik versetzen dürfen: Bei ihrer Arbeit sind sie
darauf angewiesen, von den Einzeltieren wie von der Herde
respektiert und "ernst" genommen zu werden.
Ihr Arbeitsfeld liegt überwiegend außerhalb der Herde, da
sie von dort den Zusammenhalt am besten kontrollieren
können. Die verschiedenen Hüte- und Treibhundrassen
beherrschen dabei unterschiedliche Arbeitsmethoden. Eines
aber ist allen gemeinsam: ihr freudiger Arbeitseifer und der
nahezu unermüdliche Spaß an der "Arbeit". Das macht sie zu
guten Begleitern von Menschen mit sportlichen Ambitionen.
Um bei den Ungarn zu bleiben: Zu den Hüte- und Treibhunden
gehören zum Beispiel der Puli, der Pumi und der Mudi.
Herdenschutz- und Lagerhunde
Die vornehmliche Aufgabe dieser Hunde ist das Aufpassen,
Bewachen und Beschützen.
Sie wurden - und werden heute in der Schweiz, Frankreich,
den Balkanländern und auch in Deutschland vereinzelt wieder
- von Hirten gehalten, die ihre Herden in unzugänglichen
Gebieten weiden lassen, in denen sich Beutegreifer wie Wölfe
und Bären gut verstecken können und bevorzugt aufhalten.
Gleichzeitig beschützten sie die Herden vor den Angriffen
streunender Hunderudel und - nicht zuletzt - vor dem
dreisten Zugriff zweibeiniger Diebe.
Diese Hirtenhunde mussten große und imposante Hunde sein,
robust, genügsam und unbestechlich. Vor allem aber mussten
sie eigenständig handeln. Sie erfüllten ihre Aufgabe ohne
Zutun des Menschen und handelten bei der Verteidigung ihres
Territoriums aufgrund eigener Entscheidungen. Während die
Hirten tagsüber mit ihren Hunden bei der Herde weilten,
überließen sie ihnen vor allem des Nachts diese Arbeit oft
allein. Eine ausgeprägte Selbstständigkeit kennzeichnet
deshalb bis heute die Persönlichkeit der Herdenschutz- und
Lagerhunde.
Dabei riskieren sie keineswegs leichtsinnig Leben und
Gesundheit. Im Gegenteil war eine gewisse Vorsicht,
die Nichtkennern dieser Rassen manchmal als ängstliches
Verhalten erscheint, eine wichtige Überlebensstrategie.
Ein
Draufgänger, der sich selbst, das Hunderudel und die
gesamte
Herde in Gefahr bringt, wäre niemals ein geeigneter "Pasztor"
(ungarisch für "Hirte") gewesen. Der kluge Hirte handelt
vorausschauend und erkennt die Gefahr, ehe es zu spät ist.
Die behäbig und manchmal fast verschlafen wirkenden großen
Hunde können sich dann blitzartig in Bewegung setzen. Nicht
die Zähne, sondern eine hohe Umweltaufmerksamkeit
und Reaktionsschnelligkeit bei entsprechender Größe und
Lautstärke sind die Hauptargumente, mit denen ein
Herdenschutz- und Lagerhund die allermeisten Gegner
erfolgreich zum Rückzug bewegt.
Auch in früheren Zeiten wurde bei der Auswahl der Welpen für
die Arbeit als Hirtenhund sicherlich selektiv vorgegangen.
Diejenigen, die ein stärker ausgeprägtes Jagdverhalten
zeigten, wurden offenbar auch für die Hetzjagd verwendet.
Laut Überlieferung sollen am Hofe des König Matthias ganze
Kuvasz-Meuten gelebt haben, die zur Jagd auf Rotwild
eingesetzt wurden. So ganz genau weiß man das nicht,
allerdings wäre damit die Jagdpassion einiger unserer Kuvasz
zu erklären.
Anders als beim Hütehund ist der Platz des
Herdenschutzhundes mitten in der Herde oder auf einem
erhabenen
Platz, von dem aus er die Umgebung überblicken und
kontrollieren kann. Die Welpen wurden - und werden -
möglichst zeitgleich mit den Lämmern aufgezogen und auf
diese "geprägt" und sozialisiert. Bereits im Welpenalter
lernen sie und ihre "Schutzbefohlenen", einander als
"ihresgleichen" zu behandeln . Dies mag ein Grund sein,
warum viele Herdenschutzhunde weiß bzw. hell sind, ihr
Haarkleid also dem ihrer Schützlinge ähnelt. Aufgrund der
hellen Farbe konnten Hirten und Herdentiere den Hirtenhund
in der Dunkelheit außerdem gut von Angreifern wie dem Wolf
unterscheiden.
Die Vorzüge und Talente der großen Hirtenhunde als
Arbeitshunde fanden im letzten Jahrhundert, in dem Wölfe und
Bären verfolgt und beinahe ausgerottet wurden, kaum mehr
Verwendung. Der Kuvasz wurde vom Hund der Hirten zum Hund
der Bauern und Dörfler. In einigen Regionen Europas gibt es
neuerdings aber wieder Wolfschutz-Projekte, bei denen man
erfolgreich auf die Hilfe der großen alten Hirtenhundrassen
setzt.
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